Er meinte, ich solle mich freuen – Elisabeth (32) Bremen

Erst habe ich gedacht, ich muss am Anfang beginnen. Aber was soll das sein, der Anfang? Das Kennenlernen? Die Geburt unserer Tochter? Nein, der Moment, der mich hat spüren lassen, dass ich nun mitten in einer Familie stecke, die ich selbst mitgestaltet habe, war kein klassisch romantischer Augenblick. Vielmehr war es eine Überraschung, die sich wie Treibsand anfühlte. Und es war vielleicht einer der ironischsten Momente, den das Leben bis dahin für mich bereit hielt. Ich stand morgens im Bad, noch in Schlafsachen und hielt das berühmte Stäbchen in der Hand. Das mit den Strichen. Ich hatte ein paar Tage vorher ein komisches Gefühl und besorgte es mir in der Drogerie, natürlich mit der Überlegung, dass das jetzt rausgeschmissenes Geld ist. Zurück ins Bad: Unten quasselte fröhlich meine Tochter beim Frühstück mit meinem Freund, ich wusch mein Gesicht und schaute nebenbei drauf: NEIN. Das kann nicht sein. Ich kann nicht einfach so schwanger werden. Nein. Ich kann gar nicht zählen, wie oft das Wort Nein in fetten Buchstaben vor meinem inneren Auge vorbeiflog, sich überschlug und mir auch immer wieder über die Lippen kam. Ich rannte die Treppen runter, riss die Tür ins Esszimmer auf und zeigte ihm das Stäbchen. Und es war nicht nur die Ironie der Situation - denn wir haben unsere erste Tochter nur mit Hilfe von Hormonspritzen in meinen Körper bekommen - sondern auch die pure Freude, die ihn zum Lachen brachte. Er lachte, ich weinte. So saßen wir da und es dauerte einige lange Momente, bis wir verstanden, was hier eigentlich los war: Unsere Gefühle verzweigten sich und gingen absolut konträre Wege. Ich glaube, das war für uns beide rückblickend das erste Mal, dass Universen zwischen unseren Empfindungen lagen und wir spürten, dass uns diese Frage durchrütteln wird. Um genau zu sein, war es für uns zwei keine Frage, es wurde erst im Gespräch zu einer. Denn ich hatte keine Frage, ich hatte nur die Antwort: Nein. Und seine war ein inneres großes, deutliches Ja. Man könnte meinen, dass sich die Frage nach einem Schwangerschaftsabbruch stellt, wenn man als Teenie schwanger wird, schon fünf Kinder hat, oder man den Erzeuger nicht kennt und allein mit dem Kind wäre. Aber als wir in dieser Situation steckten, wurde mir erst klar, dass wohl ein großer Teil der Frauen oder Paare nicht in einer äußeren Notsituation ist, sondern in einer inneren. Das macht den Vorgang und alle Gedankengänge die damit zusammenhängen fast noch schwieriger, denn „es geht ja alles". Da ist eine sichere Wohnsituation, ein Mensch, mit dem ich mir zweifelsohne vorstellen konnte, irgendwann die Gebisse nebeneinander ins Glas zu legen und ein unterstützender Familien- und Freundeskreis. Aber das alles spielt manchmal keine Rolle. Ich habe mich selten so deutlich als Persönlichkeit mit meinen ganz eigenen unumgänglichen Gefühlen und Bedürfnissen gespürt wie in diesem Moment und den zähen Wochen danach. Und es steckte auch ein gewisser Zauber darin. Es war auf einmal nur ich, nur meine Person, die es lange vor der Familie gab, auf die ich mich konzentrieren musste. Ich war mir mit all der Angst und Trauer in jedem Moment ganz, ganz nah. Ich habe mich kraftlos und gleichzeitig grenzenlos stark gefühlt, absurderweise so ähnlich wie während und nach der Geburt meiner Tochter.

Zeitsprung zurück: Oktober 2017. Unsere Tochter war gerade 6 Wochen alt, als ich nachts in mein Handy schrieb: „Ich wollte nie sauer sein auf dich. Nicht wegen eines Geschöpfs, was wir selbst haben entstehen lassen, weil wir uns so mögen und respektieren. Welche Gedankengänge sind nötig, obwohl wir so auf Augenhöhe gelebt haben? Wie wenig kannst du dafür. Wie wenig kann ich dafür. Wie wenig kann das Baby dafür. Vom sozialen Wiesel, viel arbeitenden wissbegierigen Wesen, wird man katapultiert in die Einsamkeit einer steinzeitlichen Höhle. Nur Platon findet man da nicht.“ Dieses Gefühl, sei es auch nur eine Momentaufnahme, schob sich im ersten Jahr immer wieder zwischen mich und das Leben mit Kind. Wir haben mittlerweile ein manchmal kommunikationsaufwendiges aber emotional befriedigendes 50% - 50% Modell etabliert. Und dennoch, dieses Gefühl der absoluten Einsamkeit, dass man mit einem Baby haben kann, überfiel mich auch, als ich daran dachte, wie das wohl in meiner Situation aussehen würde: Gerade in die Selbstständigkeit gegangen. Errechneter Termin des freudestrahlenden Arztes, der in seiner Babywut nicht einmal spürte, dass ich gelinde gesagt ambivalente Gefühle dieser zweiten Schwangerschaft gegenüber habe, war der 11.11. - Novemberblues, eine Zweijährige mit Trotzanfällen, ein Baby, das gestillt werden möchte und ein Freund, der, weil er auch selbstständig ist, in jedem Fall das Geld zum fließen bringen muss. Versorgen, füttern, windeln, nicht duschen, mit dem Baby sprechen, Sorgen: Isst es genug? Ist es nicht zu klein? Zu leicht? Nein, Mama kann dich nicht auch wieder stillen, du bist zwei! Dass diese Gedankengänge auch komplett andere sein können, die sich nach Wärme und goldenem Licht anfühlen - geschenkt. Denn das waren sie bei mir nicht. Ich lernte gerade erst, was Mutterschaft für mich bedeutet. Für andere sind zwei Jahre ein wünschenswerter kleiner, aber guter Altersabstand. Deswegen gibt es bis heute noch Freund*innen, vor denen ich nicht aussprechen kann, dass ich mich gegen dieses Kind, was vor 18 Tagen hätten geboren werden sollen, entschieden habe.

Nach dem ersten Besuch beim Gynäkologen musste ich den Arzt wechseln. Ich hatte bei ihm nicht den geringsten Raum, zu sagen was mit mir los war. Stattdessen, meinte er, ich solle mich freuen. Meine Schwangerschaft sei aufgrund meiner Vorerkrankung ein biologisches Wunder und man wüsste ja nie, wegen des Alters und so - also dann eben jetzt! Daher ging ich zu meiner Gynäkologinnen-Freundin, die passenderweise mit dem zweiten Kind schwanger war und ließ mich im Krankenhaus von ihr untersuchen. Irgendwie baut man sich den Weg dann selbst hin zu einer seriös getroffenen Entscheidung. Ich sah diesen Punkt auf dem Ultraschallbild und es war okay. Es war noch sehr früh. In der ersten Schwangerschaft gab es keine Untersuchung, die ich allein bestritt. Bis hin zur Geburt waren wir zu zweit. Mein Freund war gefühlt sogar noch mein Geburtshelfer. Dieses Mal war ich allein. Natürlich gibt es da Menschen, aber niemand begleitet dich so einfühlsam fragend und engmaschig wie bei einer Schwangerschaft, die auf eine Geburt hinausläuft. Die Beraterin bei Pro Familia war rückblickend für mich die wichtigste Person im gesamten Prozess. Sie nahm meine Not, meine Sorgen und meine Verneinung ernst und versuchte meinem Freund die inneren Bilder zu vermitteln, die sich in mir ausbreiteten und mich zu der Entscheidung brachten, die Schwangerschaft abzubrechen. Ich telefonierte Ärzt*innen durch. Allein. Und da ja auf keiner Internetseiten steht, ob der Eingriff in der jeweiligen Praxis durchgeführt wird, muss man natürlich lauter einzelne Gespräch mit Sprechstundenhilfen führen, die mal freundlich, mal abweisend reagieren. „Hallo, mein Name ist ... ich wollte fragen, ob Sie noch Termine frei haben. Ich bin schwanger und....“ Sprechstundenhilfe: "Herzlichen Glückwunsch, ja gern...“ Ich merke schon, dass sie glaubt, ich käme zur Vorsorge. Ich, weiter: „Nein, ich glaube, ich möchte die Schwangerschaft abbrechen.“ Sprechstundenhilfe unterbricht: “Wir haben allgemein keine Termine mehr frei.“

Ich entschied mich, keine weiteren Praxen abzuklappern und machte den Termin für den Abbruch in der Tagesklinik von profamilia. Mein Freund begleitet mich wortlos. "Wie kam ich nur auf die Idee, ihn mitzunehmen?" denke ich im Bus. Er wollte, aber es fühlt sich nicht gut an. Nicht weil er ein Mann ist, sondern weil er mir das Gefühl gab, dass ich ihm etwas wegnehme. Und das tat ich ja tatsächlich. Ich hatte Sehnsucht nach einer Person, die in diesem Moment nur mich sieht. Auch wenn sich dieser Gedanke ihm gegenüber ungerecht anfühlt. Die fremde Gynäkologin und die fremde Anästhesistin waren mir Lichtjahre näher, als mein eigener Freund. Erst nach dem Eingriff erfahre ich, dass er jeden Moment und mit großer Sicherheit damit gerechnet hat, dass ich alles abblase und mit ihm heim fahre. Die Narkose wirkt sehr schnell. Nach 15 Minuten wache ich in einem Raum mit fünf oder sechs Betten wieder auf. Neben mir völlig unterschiedliche Frauen, die gerade den selben Eingriff hinter sich gebracht haben. Einige weinen stumm, andere redeten leise miteinander. Es ging nicht um Reue, es ging um die Trauer. Denn die darf man haben. Sie wird einer Person nach einem Schwangerschaftsabbruch nur oft aberkannt, weil „sie es ja so wollte“. Wer da neben mir lag, war eine fünffache Mutter auf der einen und eine sehr junge Frau auf der anderen Seite. Und ich mit meinem Luxusproblem dazwischen. Doch mittlerweile weiß ich: Das war kein Luxus. Es ist ganz einfach Selbstbestimmung - ganz egal, was die Lebensumstände sind. Ich bedankte mich übertrieben bei allen Mitarbeiterinnen. Die Narkose übertreibt dieses Gefühl der Dankbarkeit, welches ich aber tatsächlich stark spürte. Ich fühlte mich den Frauen dieser Welt verbunden. Ich dachte an all ihre Geschichten.

Mein Freund brachte mich entrückt nach Hause, schaute mich die kommenden Tage kaum an, berührte mich nicht. Ich hatte morgens vor dem Eingriff eine Freundin angerufen, weil ich geahnt habe, dass ich danach allein sein würde. Sie kam und legte zu mir. Sie sprach mit mir, minderte meine Traurigkeit und bestellte Essen mit mir. Die Wochen verstrichen und mein Freund verstand, da er es nun vor sich sah, dass es mir besser ging. Jeden Tag etwas mehr. Es wurde für ihn nun erlebbar, dass ich eine Entscheidung getroffen habe, die unsere Familie nicht vergrößert, aber dennoch stabilisiert, denn wir beide sind nun wieder deutlich konturiert, als die Personen die wir sind, ganz unabhängig von unserer Beziehung zueinander. In ruhigen, behutsamen, manchmal anstrengenden Gesprächen fand ich heraus, dass er davon ausgeht, dass man kein Recht hätte, später nochmal ein gesundes Kind zu bekommen, wenn man einmal einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lässt. Ich frage mich, welcher Fundamentalist da mit mir spricht, merke aber, dass er nur ein wundervoller Vater ist, der sich mit mir zusammen alles zutrauen würde. Meine Gedanken kreisten viel um seine Aussagen. Rückblickend bin ich um jedes dieser Gespräche froh, um jeden Gedanken, den er mit mir teilte, um die Offenheit, mit der er dann doch hin und wieder über seine Trauer sprach. Und ich war erleichtert, dass auch er mir zuhörte, auch wenn er mich nicht immer verstehen konnte. Denn es ging uns nie darum, dem anderen die eigene Überzeugung aufzudrängen, uns gänzlich zu verstehen, sondern vielmehr darum, das Gegenüber als den oder die wahrzunehmen, der sie/er ist: der/die Andere. Das kann Familie auch sein: ein Magnetfeld, in dem man mal mehr, mal weniger symbiotisch immer fremd bleibt und doch liebt und geliebt wird. Und ich liebe diese von mir und uns selbst gestaltete Familie.

Verwandte Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben