Argumentationshilfe

zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (BT-Drucksache 20/13775)

Das Beenden einer Schwangerschaft ist Teil der grundlegenden Gesundheitsversorgung. Wer nicht schwanger werden will, sollte verhüten können. Aber kein Verhütungsmittel ist zu 100 Prozent sicher. Wer schwanger wird, sollte sich gut unterstützt für Elternschaft entscheiden können. Wer aber ungewollt schwanger ist, braucht auch Unterstützung – ein professionelles Beratungsangebot, Informationen und eine gute Gesundheitsversorgung. Unter der jetzigen Gesetzgebung ist eine gute Versorgung für alle nicht möglich. Leidtragende sind über 100.000 ungewollte Schwangere im Jahr, sowie die Ärztinnen und Ärzte, die sie begleiten.

Gute Versorgung scheitert an Zugangshürden.

Bürokratische und logistische Hürden beim einfachen Zugang zu einer Abtreibung verursachen enorme Belastungen und Stresssituation für ungewollt Schwangere, die sich ohnehin in einer sensiblen Lebenslage befinden. Ungleich hart betroffen sind ungewollt Schwangere in vulnerablen Situationen, die etwa die Schwangerschaft geheim halten müssen, auf dem Land wohnen, kleine Kinder oder Angehörige betreuen, berufstätig sind, oder Kosten von bis zu 600 Euro nicht stemmen können. Wer mehr als 1446 Euro netto verdient, muss derzeit die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch (ca. 350 bis 600 Euro) selbst tragen. Ungewollt Schwangeren, die knapp mehr verdienen, aber diese Kosten nicht oder schwer stemmen können, oder den Kostenerstattungsantrag nicht schnell genug vor dem Eingriff durchkriegen, wird nicht geholfen. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten nur, wenn eine medizinische Indikation vorliegt oder die Schwangerschaft auf einer Straftat beruht. Jeder fünften Frau, die eine Schwangerschaft abbricht, fällt es eher oder sehr schwer, für die anfallenden Kosten aufzukommen (ELSA-Studie im Kommissionsbericht). Eine Regelung außerhalb des Strafgesetzes macht den Weg frei, das Beenden einer
Schwangerschaft regulär über die Krankenkasse abzurechnen. Somit fällt zukünftig eine der großen Zugangshürden weg.

Ärztinnen und Ärzte brauchen Rechtssicherheit.

Ärztinnen und Ärzte werden von der Strafbarkeit abgeschreckt, sichere Schwangerschaftsabbrüche als Teil ihres Leistungsspektrums anzubieten.
Gynäkologinnen und Gynäkologen lernen nicht regelhaft die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen. In manchen Landesteilen finden ungewollt Schwangere deshalb schwer einen Arzt oder eine Ärztin und müssen lange Wege zurücklegen. Wenn sich das Gesetz nicht ändert, werden voraussichtlich weniger und weniger Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Schon jetzt sind 85 von 400 Landkreisen unterversorgt. Hingegen wären mehr Gynäkologinnen und Gynäkologen bereit, den Schwangerschaftsabbruch in ihr Versorgungsangebote zu integrieren, wenn sich die Rahmenbedingungen dafür verbessern. Danach befragt befürworten 75 Prozent die Streichung von § 218, um die Versorgung zu verbessern bzw. die ärztliche Tätigkeit zu erleichtern (ELSA-Studie Factsheet April 2024).

Deutschland verstößt gegen internationales Recht und medizinische Standards.

Das geltende Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch verletzt die international verbrieften Frauenrechte und läuft den internationalen Gesundheitsrichtlinien der
Weltgesundheitsorganisation zuwider. Deutschland ist wegen § 218 wiederholt vom UN-Frauenrechtsausschuss gerügt worden, insbesondere für die Kriminalisierung, die fehlende Kostenübernahme, die Beratungspflicht und die verpflichtende Wartefrist vor dem Schwangerschaftsabbruch. Deutschland hat eines der restriktivsten Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch in Europa. Das deutsche Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch ist seit mehr als einer Generation nicht grundsätzlich reformiert worden. Mehr und mehr Länder in Europa sichern derzeit das Recht auf Zugang zum Schwangerschaftsabbruch ab (bspw. Frankreich), schaffen strafrechtliche Bestimmungen ab (bspw. Belgien) und heben Beschränkungen auf (bspw. Spanien). Da muss Deutschland nachziehen!

Die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler aller Parteien unterstützen eine Regelung des sicheren Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des § 218.

In einer Befragung im Frühjahr 2024

  • stimmten mehr als 80% der Befragten (mehr als 70% in allen Wählergruppen) folgenden Aussagen zu: „Es ist das Recht von Frauen, sich frei bis zur 12. Woche einer Schwangerschaft für einen Abbruch entscheiden zu können.“ und „Frauen sollen in Zukunft in Deutschland die Freiheit haben, über einen Abbruch der Schwangerschaft bis zur 12. Woche zu entscheiden.“

  • stimmten mehr als 60% (mehr als 50% in allen Wählergruppen) der Aussage zu „Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen sollten von der Krankenkasse übernommen werden.“

  • hielten es mehr als 80% (mehr als 67% in allen Wählergruppen) für falsch, dass im deutschen Recht ein Schwangerschaftsabbruch, zu dem sich eine ungewollt schwangere Frau nach einer Beratung entscheidet, als rechtswidrig gilt.

  • waren mehr als 75% (mehr als 60% in allen Wählergruppen) der Meinung, dass frühe Schwangerschaftsabbrüche (in den ersten 12 Wochen) zukünftig eher nicht im Strafgesetzbuch geregelt werden sollten: Wählerinnen und Wähler der CDU/CSU: 72%, der SPD: 84%, der Grünen: 86%, der FDP: 78%, der Linken: 96%, der AfD: 61,5%.

Expertinnenkommission hält eine Änderung für dringend nötig und rechtlich möglich.


Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, die die Bundesregierung beraten hat, konstatiert: Der Schwangerschaftsabbruch muss anders geregelt werden, als § 218 es tut. Denn die §§ 218 ff. StGB – Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs – widersprechen in ihrer aktuellen Fassung dem Ergebnis ihrer verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung. Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar. Die Empfehlungen der Kommission und ein von 26 Verbänden am 17. Oktober veröffentlichter Gesetzentwurf der Zivilgesellschaft zeigen: Ein gutes Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch in Deutschland ist nicht nur zwingend nötig, sondern auch möglich. Der Schwangerschaftsabbruch kann und muss so geregelt werden, dass dabei Grundgesetz und Menschenrechte gewahrt bleiben. Dies ist kein Minus, sondern ein Plus an Lebensschutz. Schlechte Gesetze gehören geändert - Deutschland weiß, wie es geht. Deutschland braucht statt des geltenden § 218 endlich ein gutes Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch und hat bereits Erfahrung mit der Entkriminalisierung in diesem Bereich: Die DDR hatte seit 1972 eine Fristenregelung, mit der der Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen außerstrafrechtlich im Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft geregelt war. Im Juni 2022 beschloss der Bundestag das Ende des seit 1933 geltenden sog. „Werbeverbots“ in § 219a des Strafgesetzbuches, dass Ärztinnen und Ärzten verbot, über ihr Versorgungsangebot zum Schwangerschaftsabbruch zu informieren.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Veränderung.


Wir blicken zurück auf einen langen Weg geprägt von vielen Jahren der gesellschaftlichen, juristischen, wissenschaftlichen und politischen
Auseinandersetzung. Jetzt liegen alle nötigen Informationen und Argumente auf dem Tisch. Großer gesellschaftlicher Zuspruch, die Unterstützung der großen Mehrheit der zivilgesellschaftlichen Verbände und Fachverbände, eine solide Datengrundlage zur Situation in Deutschland, Empfehlungen einer Expertinnenkommission und internationaler Menschenrechtsgremien – die Voraussetzungen für eine Gesetzesänderung könnten nicht besser sein.

Alle Mitglieder des Bundestags stehen in der Verantwortung, zu dieser zentralen gesellschaftlichen Frage im Sinne von Menschenrechten und guten Rahmenbedingungen für eine gute Gesundheitsversorgung eine Gesetzesänderung zu unterstützen.

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