Der Corona Sommer 2020 ging so langsam zu Ende. Man konnte noch auf Terrassen vor Restaurants sitzen. Ich erinnere mich noch gut an einen Abend Ende August. Ich und mein Freund waren beim Italiener Essen gegangen und mir schmeckte weder der Weißwein noch der Aperol noch die Zigaretten. Ein paar Tage später hatte ich die ersten kleinen inneren Panikmomente: Was wenn es dieses mal schief gegangen ist? Meine Spannbrüste fühlten sich anders an als sonst vor meiner Menstruation, ich hatte unendlichen Hunger, war viel müde und mir war immer mal wieder einfach so übel. Wiederum ein paar Tage später – an einem Montag – hetzte ich nach der Arbeit noch schnell in die Drogerie zwei Schwangerschaftstest kaufen. Mein Plan war mir das negative Ergebnis vor Augen zu halten, damit ich mich auf meinen Sprachkurs am Abend konzentrieren konnte. Ich stand hibbelig vor meinem Schreibtisch und wartete auf den ersten blauen Streifen. Als sich noch sehr sehr undeutlich aber unwiederbringlich der zweite blaue Streifen vom weiß abzusetzen begann, setzte mein Herz aus. Ich begann aus allen Poren zu schwitzen und mir wurde schwindelig. Mein Freund stand kurze Zeit späterin meiner Zimmertür und als er zwei positive Schwangerschaftstest auf dem Tisch liegen sah, hörte ich wie ihm langsam alle Luft durch den Mund entwich. Wir wollen beide (noch) keine Kinder und trotzdem waren wir unvorsichtig geworden.
Vielleicht zu schnell fragte ich ihn, was er wolle – noch bevor ich wusste, was ich wirklich wollte. Er sagte, er will nicht Vater werden. Mutter werden wollte ich auch nicht. Unsere Entscheidung fiel eigentlich bereits an diesem Montagabend auf einer Parkbank am Fluss. Am nächsten Morgen ging ich zu meiner Gynäkologin. Noch bevor ich ein Wort herausbekam, fing ich an zu weinen. Ich muss dazu noch erwähnen, dass ich seit sieben Jahren mit einem sehr unregelmäßigen Zyklus lebe und vor zwei Jahren ein Prolaktinom in meiner Hypophyse gefunden wurde, was eine Reihe von Gynäkolog:innen dazu veranlasste, mir eine sehr eingeschränkte Fruchtbarkeit zu diagnostizieren. Meine Gynäkologin stellte beim Ultraschall fest, dass ich in der 6ten Woche schwanger war. Sie zeigte mir meine Möglichkeiten auf, gab mir den Kontakt einer Ärztin, die Abbrüche durchführt, sowie Kopien meiner letzten Krebsvorsorge. Außerdem brauchen Frauen* für einen Abbruch einen Blutgruppennachweis und einen negativen Chlamydientest. Am Ende sagte sie sie wünsche mir, dass ich die für mich richtige Entscheidung treffen kann und fragte mich, ob ich das Ultraschallfoto haben möchte. Ich sagte nein.
Ich war also schwanger. 14 Tage vor meinem 28. Geburtstag. Am folgenden Wochenende wäre ich eigentlich zu meinem ersten Festival gefahren. Ich sagte ab. Ich ließ mich krankschreiben. Ich ging viel spazieren. Alleine, mit meinen besten Freund:innen, mit meinem Partner. Es fiel ihm sehr schwer meine Gedanken in denen ich reichlich romantisierte Zukunftsszenarios durchspielte (mit und ohne Kind) nicht als Zweifel an unserer Entscheidung sondern als legitime Verarbeitung meiner Situation und Gefühle zu akzeptieren. Ich vereinbarte einen Termin für eine Schwangerschaftskonfliktberatung. Ich weiß noch, dass ich mich ohne darüber nach zu denken für diesen "Anlass" gut anziehen wollte. Ich wollte unbedingt vermeiden, dass mich die Psychologin für verantwortungslos hält - Kleider machen Leute. Der erste Satz der Psychologin zu mir und meinem Freund war: "Damit Sie es wissen: Sie müssen hier nichts sagen. Sie können den Beratungsschein haben und gehen, wenn sie nicht darüber sprechen möchten." Aber ich sprach. Sehr viel. Am Ende bekamen wir den Schein und plötzlich wurde mir klar, dass jetzt nichts mehr zwischen mir und dem Abbruch stand. Ein befreiendes und beängstigendes Gefühl. Der Termin hatte meine Entscheidung bestätigt.
Mein Körper fühlte sich von Tag zu Tag fremder an. Ich spürte, dass die Schwangerschaft langsam die Kontrolle über meinen Körper übernehmen wollte und ich mich mit Macht dagegen sträubte. Alles was in mir geschah, fühlte sich falsch an. Ich wollte wieder ich sein. Und ich war unendlich traurig über meine Entscheidung. Nicht weil ich mir nicht sicher war. Sondern weil ich meinen bevorstehenden Schwangerschaftsabbruch betrauerte. Sieben Tage später hatte ich den Termin bei der mir unbekannten Gynäkologin. Mein Freund und ich saßen im Wartezimmer. Im Nachhinein finde ich es total absurd, was an dem Tag alles auf einmal passierte. Ich hatte noch einen Ultraschall und entschied mich für den medikamentösen Abbruch. Wir hatten vorher Geld abgehoben. Es ist surreal in einer Arztpraxis zu stehen und am Empfang 400 Euro in 50ern ab zu zählen und auf den Tisch zu legen. Ich musste ein mehrseitiges Warnblatt des Gesundheitsministerium unterschreiben und wurde dann von der Arzthelferin in einen Nebenraum gebracht. Sie drückte eine Tablette aus einem Blister in meine Hand und gab mir einen Pappbecher mit Wasser: "Du musst die jetzt schlucken. Das trennt den Embryo von der Blutversorgung." In dem Moment zögerte ich keine Sekunde. Dann gab sie mir vier weitere Tabletten, die ich am Tag danach nehmen sollte.
Auf das was die darauffolgenden Tage passiert kann einen niemand vorbereiten. Hier sind ein paar Tipps, die ich mir gewünscht hätte vorher zu kennen:
- Kauft euch Windeln für Erwachsene. Die Blutungen können so stark werden, dass keine Tasse, keine Binde und kein Handtuch mehr hilft.
- Habt genug Schmerzmittel zu Hause.
- Trinkt genug.
- Habt reichlich zuckrige Snacks zu Hause um den Kreislauf stabil zu halten. Mir haben Banane mit Erdnussbutter am besten geholfen.
- Legt euch einen Müllsack oder eine Plastikfolie unter das Bettlaken
- Wenn es geht, seid auf keinen Fall alleine. Meine Mitbewohnerinnen und mein Freund haben sich drei Tage lang um mich gekümmert.
Fünf Tage später habe ich meinen 28. Geburtstag gefeiert. Heute denke ich nur noch selten an den Abbruch. Manchmal stehe ich vor dem Spiegel und betrachte meinen Bauch. Dann kommt mir der absurde Gedanke, dass ich jetzt im 6. Monat wäre und man es schon deutlich sehen könnte, wenn ich mich dafür entschieden hätte und dann auch noch alles gut gegangen wäre. Bei diesen Gedanken erschrecke ich immer ein bisschen und muss fast lachen. Ich bin so froh, dass ich nicht in diesem Jahr Mutter werde! Das einzige, was mir manchmal weh tut, ist dass mein Freund und ich den Anschluss verpasst haben über diese, meine, unsere Erfahrung zu sprechen. Ich würde mir wünschen, dass er mich manchmal fragt, wie es mir damit geht.
Mein Abbruch ist global und historisch gesehen wahrscheinlich einer der privilegiertesten. An kaum einem Ort ist die Dichte an durchführenden Ärzt:innen und Beratungsstellen so hoch wie in Großstädten wie Berlin. Ich bin volljährig, finanziell unabhängig und habe ein unterstützendes soziales Netz. Ich konnte meinen Eltern, meinen Mitbewohner:innen und meinen Kolleginnen davon erzählen und habe nichts als Verständnis entgegengebracht bekommen. Zu wissen, dass in 2021 so eine Erfahrungen unglaublich wenigen Frauen* möglich ist macht mich wütend und traurig. Leider war es für mich nötig die Erfahrung selbst zu machen, um zu erkennen wie prekär die Lage von Menschen ist, die ihre Schwangerschaft beenden wollen. Die Erfahrung hat meinen Aktivismus entfacht. Ich hoffe, dass ich den Moment noch erlebe, an dem §218 und §219a aus dem Gesetzbuch gestrichen werden. #prochoice