Schweigende Einsamkeit
Meine erste Schwangerschaft war weit fortgeschritten, als ich sie realisierte. Ich war noch jung und meine Periode kam sehr unregelmäßig. Meinen ersten Penetrationssex hatte ich erst wenige Wochen vorher mit großem Verhütungsaufwand erlebt und war daher völlig fassungslos, dass ich die Zwölfwochenfrist beinahe überschritten hatte. Ich war offenbar noch davor als Jungfrau zum Kinde gekommen. Ich zögerte keine Sekunde. Ich teilte meinem Freund die Entscheidung nur mit und bat meine Mutter um Hilfe. Sie begleitete mich zur Beratung, war sehr einfühlsam und unterstützend. Nur eins war mir verboten: Ich solle niemandem davon erzählen.
Der Eingriff war furchtbar. Mir wurde ein Wehenmittel verabreicht und ich lag stundenlang allein in den Wehen, um zuletzt den Fötus über einer Metallschale zu gebären, während die medizinischen Fachkräfte mich so grob behandelten, als solle es mir eine Lehre sein. Danach wurde ich unter Vollnarkose ausgeschabt und musste stationär bleiben. Ich lag auf einer Station mit Frauen, die Fehlgeburten hinter sich hatten. Aber sie waren freundlicher zu mir als das Pflegepersonal, das mir das Gefühl gab, eine Verbrecherin zu sein. Ich war noch lange Zeit psychisch und physisch angegriffen, zweifelte aber nie an der Richtigkeit meiner Entscheidung.
So ging es mir auch fast zehn Jahre später, als ich während meines Studiums schwanger wurde. Ich hatte mich gerade getrennt, um mich wieder an einer neuen Beziehung zu versuchen, als uns ein Kondom platzte und ich schwanger wurde. Diesmal merkte ich es noch vor dem Ausbleiben der Regel und wusste sofort, dass der Moment zur Mutterschaft noch nicht gekommen war. Ich war mitten im Studium und ganz am Anfang einer Beziehung. Ich brachte die Beratung hinter mich und hatte einen schnellen ambulanten Eingriff. Danach war ich mit mir selbst im Reinen, aber einsam mit meinen Gedanken dazu.
Es sollten fast 10 Jahre vergehen, bis ich wieder schwanger wurde. Diesmal war es eine Wunschschwangerschaft und ich verbrachte die glücklichsten und zeitgleich anstrengendsten Monate meines Lebens mit dem Baby in und später im Tragetuch vor meinem Bauch. In dieser Zeit wurde mir erst wirklich bewusst, wie richtig ich bei den ersten Schwangerschaften gehandelt hatte. Elternschaft sollte aus Freude niemals als Pflicht erlebt werden und wohlüberlegt sein. Die lebensverändernde Entscheidung für oder gegen ein Kind sollte niemals gegen den Willen der Schwangeren durchgesetzt werden.
Leider kam es zehn Jahre später genau dazu. Ich wurde erneut schwanger. Es kam ungeplant und überraschend und ich wusste zum ersten Mal nicht genau, wie ich mich entscheiden sollte. Ich merkte eine Freude und Hoffnung in mir, mein Mann jedoch war mit der Vorstellung eines zweiten Kindes völlig überfordert und lehnte Gespräche darüber so kategorisch ab. Ich fühlte mich mit der Situation so allein, dass ich keinen anderen Ausweg sah, als mich seinem Bedürfnis zu beugen. Auf dem Weg allein ins Krankenhaus fühlte ich mich wie auf dem Weg zum eigenen Henker.
Ich weiß nicht, wie ich mich entschieden hätte, wenn ich mich frei gefühlt hätte. Aber das Gefühl, diese schwerwiegende Entscheidung von außen auferlegt zu bekommen, war traumatisch. Und vor diesem Erlebnis bewahrte der §218 mich keinesfalls. Vielmehr schuf das Tabu eine Atmosphäre, in der ich nicht die Möglichkeit empfand, mich genau so frei und unbefangen in meinem Umfeld über das Thema auszutauschen, wie ich es sonst auch tat und bei dieser Entscheidung umso mehr gebraucht hätte.