Ich war so sauer, ich wollte sie anklagen – Anonym

Nach 6 Monaten fester Beziehung (Frühling 2017), kam das Bedürfnis auf für 1) ein komdomloses Sexleben und 2) ein kinderloses Sexleben. Bevor wir den Schritt gingen, ist ein Kondom geplatzt, am nächsten Morgen bin ich sofort zur Frauenärztin gegangen, die mir die "Pille danach" vorschlagen wollte. Ich hatte mich eher für eine Kupferspirale entschieden, weil ich auf Hormone verzichten wollte und am besten gleich die Gelegenheit nutzen wollte, um eine langfristige und eigentlich sichere Verhütung zu haben. Die Frauenärtzin meinte, sie hätte noch nie eine Spirale als Notverhütung verwendet, aber war sich sicher, dass es nicht allzu problematisch wäre. Natürlich tat es mega weh, weil sie sie nicht richtig ansetzen konnte. Nach einer Stunde Qual, die Spirale war drin und fest und Termin beendet, ich wieder zu Hause. Natürlich haben wir die Zeit danach besonders genossen, sorgen- und kondomfrei so oft und so guten Sex zu haben! Das war absolut großartig. Wir haben uns dann auf die neue Ära gefreut! Problem war: Ich bekam meine Tage nicht. Ich dachte, vielleicht hat die Spirale meinen Zyklus durcheinander gebracht. Aber nachdem ich mein Abendessen der Kloschüssel gespendet habe, wollte ich zur Sicherheit einen Schwangerschaftstest machen, der natürlich positiv war.

Weil wir auch nicht so lange zusammen waren, war es klar, dass wir beide nicht bereit für eine Familie waren. Wir sind zusammen dann zur Ärztin gefahren, die ganz überrascht war mich zu sehen. "Ihr Kontrolltermin ist erst in 2 Wochen." – "Ja, ich weiß, ich bin aber wohl schwanger." Ärztin guckte sich alles an und zeigte auf dem Ultraschall-Bildschirm und bestätigte die Schwangerschaft und erklärte, so ganz casual, ja, das passiert wohl manchmal, dass Frauen die Spiral im ersten Zyklus raus"pressen". Ok, gut, es mir jetzt zu erzählen ist ein bisschen so wie Salz in die Wunde zu schmieren, eine solche Info wäre beim anlegen der Spirale aber wesentlich nutzvoller gewesen. Zuerst hatte sie beim Termin vergessen, mir die schräg herausgerutschter Spirale zu entnehmen (ohne den Hinweis von meinem Freund, hätte sie die wahrscheinlich drin gelassen!), dann sagte sie mir, während ich schockiert mit breiten Beinen da lag, dass es doch ein tolles Zeichen ist, dass die Maschine funktioniert und dass wir uns über unsere Kompatibilität freuen sollten. Ohne mich jemals über meine Entscheidung zu fragen, ob ich die Schwangerschaft überhaupt durchführen will, machte sie mit mir einen Termin zur Kontrolle aus – den ich nie wahrgenommen habe. Die Frau habe ich nie wieder gesehen. Sie ist nie auf die Idee gekommen, dass ihr Versäumnis mir eine ungewollte Schwangerschaft verursacht hatte – obwohl ich ihr nur einen Monat früher explizit erzählt hatte, wie wichtig es mir zu diesem Zeitpunkt war, kein Kind zu kriegen (Arbeitslosigkeit, Vater frisch gestorben, Mutter an Krebs schwerst krank, keine feste Wohnung und eine sehr frische Beziehung, die sich erst mit der Zeit als stabil erwiesen hat. Mit 6 Monaten war ich mir nicht so sicher).

Hab einen Beratungstermin in Prenzlauer Berg bekommen, obwohl ich ALLES über Abbrüche gelesen hatte, aber ich wusste, ohne diesen Termin kann ich keinen Abbruch machen. Die Beraterin hat mir zugehört und mir drei Ärzte vorgeschlagen. Aus den drei habe ich mich für die einzige Frau entschieden. Der Termin bei ihr war unkompliziert und total tabufrei, ich habe mich da sehr wohl gefühlt. Ich war zu diesem Zeitpunkt so sauer auf die erste Frauenärztin, ich wollte sie anklagen, weil sie mich nicht gewarnt hatte, dass ich vielleicht im ersten Zyklus noch aufpassen musste oder so, aber die neue Ärtzin hat davon abgeraten. Außerdem ist die erste Ärztin im selben Jahr in Rente gegangen...

Der Abbruch hat dann stattgefunden, nach dem ich als Arbeitslose noch bei der Krankenkasse einen Kostenübernahmeantrag machen musste, weil ich keine 400€ dafür hatte – ich konnte gerade so meine Miete zahlen. Aber für den Eingriff habe ich am Endeffekt 100€ bezahlt: 75€ für die Narkose und 25€ für die Bettwäsche in der Frauenarztpraxis. Einigen Tage nach dem Abbruch, habe ich aus absoluter Not einen Job als Buchverkäuferin am Kirchentag angenommen. Da ich noch Schmerzen hatte (und mir vor dem langen Stehen abgeraten wurde), wurde ich an einem Büchertisch hingestellt und durfte dann sitzen. Den Grund meiner Schmerzen habe ich natürlich keinen Christen verraten. Einer der Verkäufer hatte den Livestream einer gleichgeschlechtlichen Ehe sehr stark kritisiert, ich hatte meine Vermutung, wie deren Meinung zur Abtreibung sein würde. Auf jeden Fall war ich von einer Frau besonders irritiert, mir war ihr Gesicht bekannt, konnte sie aber null wieder einordnen, bis sie zum Tisch kam, mich wiedererkannte und mich fragte, wie es mir ging. Es war die Assistentin der Frauenärztin, die mit ihrem christlichen orangenen Schal zur einer Abendveranstaltung vom Kirchentag gehen wollte.

Ich als Französin, dachte in (damals) 2017, Frau*en sind frei, selbstbestimmt und müssen sich nicht dem gesellschaftlichen Familienzwang beugen. Aber wenigen Monate danach kamen all die Prozesse gegen Frauenärztinnen und Frauenärzte, die Abbrüche durchführen. Ich habe mich damals sofort verbündet, zu Demos gegangen, meiner Mitbewohnerin, einer Journalistin, meiner Geschichte erzählt und veröffentlichen lassen, ich bin sogar Jahre später zum Ausschuß für Recht und Verbraucherschutz gegangen, am 18.02.2019. Und ich glaube, die ganze Zeit war ich nur erschrocken, wie die Gesellschaft und wie die Politik mit der Thematik umgeht. Ich dachte, es geht doch niemanden an, wie ich meinen Körper einsetze, was soll das? An diesem Zeitpunkt ist mir klar geworden, wie unfassbar realitätsfern Deutschland Frau*en behandeln. Ich wurde online von Männern beschimpft, beleidigt und mein Name im Netz ploppte überall in Kommentarspalten zu Artikeln über Schwangerschaftsabbrüche auf. Ich konnte gleichzeitig nirgendwo im Netz eine nützliche Information über die Zeit nach der Abtreibung (ab wann kann ich rauchen, trinken oder was weiß ich) und habe nur Frauenhass gefunden, Menschen (aber eigentlich hauptsächlich Männern), die Frau*en verantwortlich für ihre Situation machen und sogar ihr noch Schuld dafür geben! Mir wurde unterstellt, ich wäre der Beweis dafür, dass Frauen sich über die Konsequenzen keine Gedanken machen würden. Und ich dachte: doch! Zwischen eine Abtreibung und einen Kind, habe ich mich entschieden! Weil ich eben an die Konsequenzen gedacht habe und ich war nun mal null in der Lage, mich um einem Kind zu kümmern!

Ich bin zutiefst sauer, dass die deutsche Politik und die deutsche Gesellschaft SO VIEL Zeit, Energie und Geld darein investierten, Frau*en  zu kontrollieren, ihre Selbstbestimmung kriminalisieren und der Meinung von Fundamentalisten viel zu viel Gewicht geben. Es ist unglaublich frustrierend, wie unbedeutend die Frauenrechte in Deutschland sind und wie wenig Preis sie in der Politik haben. Für unsere Zeiten ist es skandalös, dass Deutschland so regressiv ist und ich finde es skandalös, dass so viele Mitbürger*innen auch einfach passiv zuschauen...

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